Nachruf

Zum Tod von Rupert Neudeck

Der stets Tätige

Zu den eindringlichsten Persönlichkeiten, die ich in meiner bisherigen Tätigkeit für GALORE treffen durfte, gehörte Rupert Neudeck. Der Mitbegründer des Hilfskomitees Cap Anamur, der sein weltweites Engagement später mit den Grünhelmen fortsetzte, war ein absoluter Praktiker. Während derzeit viele Menschen dem Irrglauben erliegen, lautstarke Empörung allein sei bereits eine verändernde Handlung, lebte Neudeck mit seinen Helferinnen und Helfern "die gute Tat" so gelassen wie kompromisslos aus. Zurzeit meines Interviews im Juli 2007 waren die Grünhelme in Mauretanien, Ruanda, Palästina, Rumänien und Afghanistan unterwegs, um Bau- und Schulprojekte zu betreuen. Mit Cap Anamur engagierte sich Neudeck lange Zeit in Vietnam, Kolumbien, Äthiopien, dem Sudan oder dem Irak sowie während und nach dem Kosovo-Krieg in Mazedonien und Albanien.

Eine Besonderheit der Grünhelme stellte bereits der Aufbau der Organisation dar. Der Verein agiert bis heute partei-, nationalitäten- und vor allem religionsübergreifend. Neudeck gründete ihn 2003 mit Aiman Mazyek, dem Vorsitzenden des Zentralrates der Muslime. Christen und Muslime arbeiten unter seinem Dach zusammen. Außerdem sind die Grünhelme weitgehend hierarchiefrei organisiert und kennen keine Privilegien für die Vorsitzenden oder die erfahreneren Helfer. Auf diese Weise setzte der promovierte Philosoph und idealistische Philanthrop Neudeck sogar in der Struktur seiner Arbeit eine Gesellschaftsvision in die Tat um. Seine entscheidende Partnerin und Stütze bei allen Engagements war seine Frau Christel, die ebenfalls zum Gründungsteam von Cap Anamur gehörte.

Auf politischer Ebene wurde Neudeck (vor allem bezüglich seines Buches "Ich will nicht mehr schweigen") eine einseitige Parteinahme für Palästina und sogar Antisemitismus vorgeworfen, namentlich unter anderem von dem Publizisten Henryk M. Broder. Noch in diesem Frühjahr meldete Neudeck sich in der Ausgabe 2 des Philosophie-Magazins zu Wort. In einem Schwerpunkt zur Flüchtlingskrise schrieb er: "Jeder Mensch lebt durch Tätigsein, nicht unbedingt durch tariflich entlohnte Arbeit, aber durch Tätigsein. Deshalb müssen die Asylbewerber - nicht unbedingt in der Erstaufnahme, aber es wäre gut, wenn das auch da schon beginnen würde - zu ausgreifenden Tätigkeiten im Natur- und Umweltschutz eingeführt werden. Das Schlimmste Hindernis der Integration sind die Untätigkeit und Passivität, zu denen das deutsche Asylbewerbersystem nicht nur neigt, sondern die es verfügt." Das von der CDU Rheinland-Pfalz geforderte "Treuegelöbnis zur Bundesrepublik", in dem die Asylbewerber unter anderem "die Zustimmung zur Existenz Israels abgefordert wird", hielt Neudeck hingegen für ein "Hindernis", da es "anderen politischen Forderungen" Tür und Tor öffne.

Auf diskursiver Ebene blieb Neudeck somit bis zum Schluss ein streitbarer Geist. Was er hingegen als stets "Tätiger" auf der ganzen Welt praktisch verändert und verbessert hat, trug mehr zu Frieden und Völkerverständigung bei als Tausende tägliche in den Äther gefeuerte Empörungssignale.

Zu seinem Gedenken schalten wir das Interview mit ihm zur kostenlosen Lektüre frei.

Neudeck wurde 77 Jahre alt.

Oliver Uschmann (Chefredakteur)