Ray Cokes
„Früher gab es Musik im Fernsehen. Heute gibt es Karaoke.“
Zur Person
Raymond Christopher Cokes kam am 24.02.1958 auf der Isle of Wight zur Welt. Als Sohn eines Offiziers lebte er in jungen Jahren in zahlreichen Ländern, phasenweise auch in der Karibik. Nach der Rückkehr nach England strebte er den Beruf des Kochs an und arbeitete als Küchenchef unter anderem viele Jahre in Belgien. Dort wurde er von einem Piraten-Radiosender als Moderator entdeckt. 1987 wechselte Cokes vor die Kamera und wurde einer der ersten Moderatoren des frisch nach Europa importierten Musikkanals MTV. Mit seiner vier Mal die Woche laufenden, recht anarchischen Show „Most Wanted“, in der er lustige Spiele und Interviews mit den Größen der Musikbranche verband, wurde er europaweit bekannt. Eine völlig aus dem Ruder gelaufene Liveshow für MTV in Hamburg beendete seine Karriere bei dem Sender abrupt. Es folgte der totale Fall: Cokes nahm Drogen, wurde depressiv und kapselte sich von der Welt ab. Es benötigte viele Jahre, bis er wieder zurück zu alter Form fand. Heute moderiert er TV-Formate, Radiosendungen und Live-Shows, unter anderem einmal jährlich in Deutschland: Während des Reeperbahn Festivals gehört „Rays Reeperbahn Revue“ zu den Highlights des Festivals. Heute lebt Cokes in Antwerpen, arbeitet aber europaweit.
22.10.2014. Hamburg, in einem Hotel auf der Reeperbahn. Jedem, der über 30 ist und sich für Popkultur interessiert, dürfte Ray Cokes auf dem TV-Schirm begegnet sein: Er ist die Legende der VJs, also der Präsentatoren von Musikclips, die dereinst das Programm auf MTV ausmachten. Mit seiner Show „Most Wanted“ spielte er sich in die Wohnzimmer und Herzen einer ganzen Generation von Musikfans. Nun hat er seine Biografie geschrieben: „My Most Wanted Life“ ist ein spannender Streifzug durch ein Leben voller Höhen und Tiefen sowie ein umfassender Blick auf die Popkultur der letzten 30 Jahre. Noch immer redet Cokes im Gespräch wie ein Wasserfall, hat Anekdoten und Gedanken parat, die eine ganze Branche und ihre radikalen Umwälzungen skizzieren. Auch sein schelmisches Grinsen hat er sich bewahrt.
Mr. Cokes, begegnen Sie der Reeperbahn noch immer mit gemischten Gefühlen? Immerhin fand der erste und prominenteste Teil Ihrer Karriere genau hier sein abruptes Ende: Sie haben damals während der Live-Show „X-Ray Vision“ die Contenance verloren und in ihrem Zorn vor einem aufgebrachten Publikum, das sich wegen eines falsch angekündigten Gasts echauffierte, live gegen den Arbeitgeber MTV gewettert – was letztendlich zu ihrem Rausschmiss führte.
Ray Cokes: Nein. Das war früher einmal so. Als ich vor sechs Jahren erstmals wieder herkam, um „Rays Reeperbahn Revue“ im Rahmen des Reeperbahn Festivals zu moderieren, war ich so verängstigt, dass ich den Veranstalter bat, mich durch die Hintertür einzulassen. Ich hatte wirklich Schiss, die Reeperbahn zu betreten. Es war nicht so, dass ich die Stadt oder ihre Menschen hasste, aber ich wollte einfach nicht an den Ort meiner größten Niederlage zurückkehren. Als ich dann die Bühne des ‚Schmidt Theaters‘ betrat, wurde es noch schlimmer, denn da saßen gerade mal 50 Leute. Das war der Moment, wo ich dachte: „Okay, du bist durch. Keiner will dich mehr sehen.“ Zum Glück entwickelte sich diese Show dann über die Jahre und wurde zum Erfolg. So gab mir Hamburg das Selbstvertrauen zurück, das ich an exakt dem gleichen Ort rund eineinhalb Jahrzehnte zuvor eingebüßt hatte.
Ist „Rays Reeperbahn Revue“ für Sie tatsächlich etwas so Besonderes, obwohl sie nur einmal jährlich an drei aufeinander folgenden Tagen stattfindet – ohne Kameras, nur für diesen Moment und ein paar Hundert Zuschauern?
Ja, denn diese Revue hat mich zurück gebracht zur Selbstverständlichkeit des Moderierens. Ich bekomme während der Show unfassbar viel positive Energie vom Publikum zurück, das kann man nicht als normal abtun. Ein besonderer Moment war, als ich letztes Jahr fragte, wer von den Anwesenden schon mal eine der Revues gesehen hatte – und fast alle Hände gingen hoch! Da wusste ich: Die Leute kommen tatsächlich wieder, um dich zu sehen. Das war der Moment größter beruflicher Befriedigung, seit ich damals bei MTV geschasst wurde.