Nigel Kennedy
„Selbst ein glühender Fan wie ich kann Vivaldi manchmal nicht mehr hören.“
Zur Person
Nigel Kennedy (geboren am 28.12.1956 in Brighton) stammt aus einer Musikerfamilie: Sein Vater ist Cellist, seine Mutter Klavierlehrerin. Mit sechs Jahren bekam er seine erste Geige, ein Jahr später erhielt er ein Stipendium an der Yehudi-Menuhin-Schule in London. Mit 16 zog er nach New York, wo er seine Ausbildung an der renommierten Juilliard School fortsetzte. Ab 1980 trat er als Stammsolist der Berliner Philharmoniker in Erscheinung, seit den späten 80er-Jahren kennt man ihn zudem durch seine Interpretationen von Jazz- und Rockmusik-Stücken. Seine Interpretation von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ ist das meistverkaufte Klassikalbum aller Zeiten. Nigel Kennedy lebt mit seiner Frau Agnieszka in London und Krakau.
27.09.2007, Gloucestershire. Nigel Kennedy joggt zum Interview – schon von weitem kann man ihn kommen sehen. Nach einer schnellen Dusche geht’s los. Der bübisch verschmitzte und aufmerksame Stargeiger erzählt von seiner Liebe zur Musik und seine Wahlheimat Polen.
Mr. Kennedy, Sie verbringen einen Großteil Ihrer freien Zeit in Krakau und nahmen sogar ein Album mit dem Titel „Polish Spirit“ auf. Erklären Sie doch mal die polnische Geisteshaltung.
Nigel Kennedy: Ich lebe im Süden des Landes, wo man diesen Geist noch besonders stark erleben kann. Über die letzten 400 Jahre gab es in Polen zahlreiche Invasionen durch andere Länder, die schließlich im russischen Imperialismus gipfelten – eine der dümmsten Ideen, die die Menschheit je hatte. Diese Zeit der sozialistischen Anbindung an Russland hat auch vieles am typisch polnischen Geist zunichte gemacht – man hörte und spielte lange Zeit nur noch russische Musik. Dabei sind Emile Mlynarski und Mieczyslaw Karlowicz die ich auf dem von Ihnen erwähnten Album ehre, weitaus bessere Komponisten als die meisten Russen. Sie repräsentieren für mich perfekt den polnischen Geist, der sich aus den wenigen Freiheiten speiste, die die russische Besetzung noch zuließ. Darin liegt das Geheimnis: So viel wie möglich aus der kleinen Freiheit zu machen, die man hat.