Martina Gedeck

Martina Gedeck

„Man kann sich nichts bauen, was für immer bleibt.“

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  • Oliver Vaccaro
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Zur Person

24.3.2015, Berlin. Zwei starke Kaffee, zwei stille Wasser, eine ruhige Ecke im Atrium eines Charlottenburger Hotels und der unbedingte Wille zur Kommunikation. Beste Voraussetzungen, um mit Martina Gedeck ein ausführliches Gespräch zu führen. Über das Neuköllner Modell, das Hirn von Ulrike Meinhof, die Eltern von Anne Frank, die Kunst, jemand anderer zu sein, und wie man denjenigen wieder loswird. Für den zweifelhaften Fall, dass dann noch ein bisschen Zeit übrig sein sollte, böte sich eigentlich das Geheimnis der ewigen Jugend an. Das scheint die Schauspielerin nämlich auswendig zu kennen.

Frau Gedeck, wenn man einen Blick auf Ihre Karriere wirft, fällt auf, dass Sie in Ihren Filmen häufig real existierende Personen verkörpern. Bemerkenswerterweise könnten nicht nur diese Charaktere, sondern auch die meisten ihrer fiktionalen Hauptfiguren ebenso gut Männer sein. Ich meine damit, dass sie geschlechtsunabhängig sind und insofern auch völlig frei von Klischees. War es eine bewusste Entscheidung, die Figuren so anzulegen?

Martina Gedeck: Nein, überhaupt nicht. Das ist mir so klar auch noch gar nicht aufgefallen. (überlegt) Aber es stimmt: weder bei Ulrike Meinhof in „Baader Meinhof Komplex“ noch bei Brigitte Reimann in „Hunger auf Leben“ oder Corinna Kleist im „Ende der Geduld“ liegt die Betonung auf dem Frau-Sein. Und erst recht nicht in „Die Wand“, obwohl die Rolle „Frau“ heißt und ansonsten namenlos ist. Es freut mich jedenfalls sehr, wenn das so rüberkommt. Denn wenn man mich lässt, hebe ich in meiner Darstellung lieber das Menschliche hervor als das spezifisch Weibliche beziehungsweise Unweibliche. Das gilt sogar im Falle der DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann, die in den meisten Biographien als typisches Weibchen dargestellt wird, als Frau, die es ständig darauf angelegt, Männer zu verführen und die drei, vier Mal verheiratet war. Sie selbst hat sich aber keineswegs so gesehen, und deswegen habe ich bei „Hunger auf Leben“ bewusst die Frau hinter die Schriftstellerin und den politisch denkenden Menschen gesetzt.

Kommt es oft vor, dass Ihnen Drehbücher angeboten werden, in denen das Geschlechterverständnis Ihrer Figur und die damit verbundenen Klischees keine Rolle spielen?

Das passiert gar nicht so selten, denn typische Weibchen-Rollen legt man mir wohl gar nicht erst vor. Solche Rollen würden mich auch langweilen. Richtig glücklich machen mich dagegen Angebote wie „Die Wand“. Da konnte ich mich innerlich in alles verwandeln: Frau, Mann, Tier, Pflanze, kleiner Junge – ein Traum für jeden Schauspieler. Auch bei Kirsten Heisig beziehungsweise Corinna Kleist, wie die Figur in „Am Ende der Geduld“ heißt, hat mich besonders die Verwandlung in einen Richter interessiert, weniger in eine Richterin. Bei der Recherche ist mir aufgefallen, dass sich das in diesem Berufsstand sowieso nivelliert. Frauen wie Männer kommunizieren da auf einer Ebene, die so formal und juristisch präzise ist, dass das Geschlecht in den Hintergrund tritt. Was mir aufgefallen ist: Als Richter muss man sprachbegabt sein. Einerseits muss man das Juristen-Deutsch beherrschen und andererseits in der Lage sein, dieses juristische Deutsch dem Laien, in diesem Fall dem Kind, zu vermitteln. Dabei müssen Sachverhalte und mögliche Konsequenzen ganz klar gemacht werden, denn es geht ja nicht selten um die Existenz des Angeklagten. Im Fall von Heisig waren das auch noch Jugendliche, in deren Leben sie als Richterin mit einem Urteil entscheidend eingreifen konnte.

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