John Lydon
„Ich bin ein Abkömmling der Entrechteten.“
Zur Person
John Lydon kommt am 31. Januar 1956 als ältester Sohn irischer Einwanderer in London zur Welt. Berühmt-berüchtigt wird er 1976 unter dem Pseudonym Johnny Rotten als Sänger der Punkrock-Band Sex Pistols, die mit dem Song „Anarchy in the UK“ die britische Obrigkeit provoziert. Nach dem legendären Nummer-1-Album „Never Mind the Bollocks, Here’s the Sex Pistols“ im Jahr 1977 verlässt Lydon die skandalträchtige Band, um sein experimentelleres Musikprojekt Public Image Ltd. voranzutreiben. Die folgenden Jahrzehnte ist er vor allem als Solo-Künstler unterwegs, 2004 verblüfft er mit einem Auftritt in der britischen Version der Fernsehshow „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ In der Folge reformiert er sowohl die Sex Pistols als auch Public Image Ltd., deren Europatournee im Oktober bevorsteht. Lydon lebt mit der 15 Jahre älteren Deutschen Nora Forster in Los Angeles.
08.07.2015, Los Angeles. John Lydon ist ein Mann der Widersprüche. Der kalifornischen Sonne begegnet der Sänger der legendären Sex Pistols mit trotzig weißer Haut, breites Amerikanisch kontert er mit schnoddrigem Cockney. Der Queen schlägt er mit einem US-Pass ein Schnippchen, zur Teatime in L.A. gibt es Mineralwasser. Wer vom ehemaligen Bürgerschreck ungehobelte Manieren erwartet, wird mit ausgesuchter Höflichkeit und ungeteilter Aufmerksamkeit enttäuscht. Letzteres zumindest so weit es das rhythmische Klopfen und Brummen im Hintergrund zulässt. Ist das der Soundcheck für die bevorstehende Tour mit PiL? Gerade als sich diese Frage aufdrängt, bittet Lydon die Installateure in seinem Haus, jetzt doch mal ein Stündchen Pause zu machen und ihn in Ruhe über die Wut als Weltanschauung reden zu lassen.
Herr Lydon, darf ich kurz fragen, woher diese ominösen Geräusche im Hintergrund gerade kamen?
John Lydon: Ich habe gerade die Handwerker im Haus, weil irgendein zentrales Rohr unserer Toiletten verstopft ist. Das zieht sich jetzt schon seit ein paar Tagen hin. Lassen Sie sich gesagt sein: Ein paar Tage ohne Klo reichen schon, um festzustellen, wie abhängig man von den Errungenschaften der Zivilisation ist. Wenn man morgens seinen Scheiß nicht loswird, ist der Tag doch eigentlich schon gelaufen.
Sie sind ein Freund deutlicher Worte. Ihre neue Autobiografie „Anger Is An Energy“ trägt den Untertitel „Mein Leben unzensiert“. Wer hat Ihr Leben denn bisher zensiert?
Eigentlich alle, die jemals darüber geschrieben haben, ohne vorher mit mir gesprochen zu haben. Es gibt jede Menge Bücher über mich und die Bands, in denen ich gespielt habe, aber in all diesen Büchern stehen im Grunde nur Lügen oder bestenfalls Behauptungen. Die Autoren haben versucht, sich einen Reim auf John Lydon zu machen. Als ihnen das nicht gelungen ist, haben sie mich einfach neu erfunden. Dabei gehört es zu den größten Errungenschaften meines Lebens, dass ich mich schon als Kind selber neu erfunden habe.